Alt-Enderle. Interview mit einem Besessenen. Teil I

Wer zur Brennerei Alt-Enderle im Badischen Rosenberg-Sindolsheim fährt, sollte Zeit mitbringen. Denn Joachim Alt, Brennmeister bei Alt-Enderle, ist ein Besessener. 

Wenn er von seiner Arbeit redet, dann spudelt es nur so aus ihm heraus. Er ist Brenner aus Leidenschaft und war einer der ersten, die in Deutschland Whisky brannten. 

Vergangenes Wochenende habe ich ihn und Michael Enderle in ihrer neuen Brennerei besucht. Und dabei so manche Überraschung erlebt.
 
Foto: MargareteMarie
 

Als Joachim Alt 17 ist, weiß er genau, was er will: Schnaps brennen. Statt wie andere Teenager in diesem Alter noch von der Zukunft zu träumen, kauft er 50 neue Holzfässer und eine Brennerei. Der Vater tobt. Für Spinnereien hat der Senior nur wenig übrig. Doch der Sohn lässt sich nicht beirren. Er geht schon damals seinen eigenen Weg.

Das war 1987. Mehr als ein Viertel Jahrhundert ist seither vergangen, und noch immer hat Joachim Alt die Leidenschaft im Blut, wenn es um Hochprozentiges geht. Seit 1991 betreibt er zusammen mit Michael Enderle die Brennerei Alt-Enderle. Und bis heute hat sich nur wenig an ihrer Brenn-Philosophie geändert: Grenzen verschieben, Neuland betreten, etwas Anderes wagen.

Joachim Alt experiment gerne, brennt neben klassischen Obstschnäpsen auch Absinth, Sloe Gin, Rum, Whisky oder Brotbrand. Ganz besonders interessiert mich bei meinem Besuch aber sein neues Produkt: ein  Whisky ganz aus Grünkern gebrannt. Auf den ist er besonders stolz, denn einen Grünkern-Whisky hat vor ihm noch niemand gemacht.

Joachim Alt.          Foto: MargareteMarie

Dass er überhaupt mit dem Whiskybrennen anfing, verdankt er - wie er mit schelmischem Grinsen bemerkt - eher einem kuriosen Zufall. Diese Geschichte aus den Kindertagen der deutschen Whisky-Produktion ist so schön, dass ich sie euch unbedingt erzählen möchte: 

Als er im Herbst 1998 zwanzig Fässer mit gebranntem Gerstenmalz füllt, hatte er eigentlich einen Gin im Kopf. Ein mit Kräutern und Wurzeln aromatisierter Gin sollte es werden, eine Art Genever nach holländischem Vorbild. Und da er in gut schwäbischer Manier immer versucht, nachhaltig zu arbeiten, füllte er schon bald danach noch einmal 20 Fässer, und dann noch einmal. Drei bis vier Monate sollte der Gerstenbrand lagern, und dann weiterverarbeitet werden. Doch wie so oft kam auch diesmal das Leben dazwischen.

Neccarus.        Foto: MargareteMarie

Mittlerweile betrieben die Alt-Enderles auch einige Restaurants im Raum Stuttgart, für den geplanten Gin blieb keine Zeit mehr. Gottseidank, möchte man in der Rückschau sagen. Denn es sollten dreieinhalb Jahre vergehen, ehe sich Joachim wieder um seine 60 Fässer kümmern konnte. An Gin war jetzt nicht mehr zu denken, zu sehr hatte der Fasseinfluss den Alkohol schon verändert. 

Um wieder Platz im Keller zu schaffen, rief Joachim irgendwann beim Zollamt an, um den Inhalt zu vernichten. "Kornscheiß" hat er damals gesagt. Die Antwort des Zöllners war lapidar: "Naja, einen Gin wird das wohl nicht mehr geben, aber nach drei Jahren kannst du doch auch Whisky drauf schreiben." Es ist erstaunlich, welche Wirkung mitunter ein einziger Satz haben kann.
 

Joachim Alt, Michael Enderle.   Foto: MargareteMarie


Joachim und Michael sind von der Idee wie elektrisiert. Die Whiskyproduktion ist zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend Neuland in Deutschland. Orientierungshilfen gibt es kaum. Sie bilden sich weiter, lesen Bücher, entwickeln ein Fassmanagement. Fässer zu bekommen war damals kein Problem, und schon bald füllen sich die Keller der Brennerei mit großen Mengen an Sherry-, Port- und Bourbon-Fässern. Und wie immer setzen die beiden auf Nachhaltigkeit. 

Heute sind ihre Fasslager gut gefüllt, der älteste Whisky ist inzwischen schon 15 Jahre alt und wurde in zwei Varianten ausgebaut: Sherry-Fass und Portwein-Fass. Für einen deutschen Whisky ist solch ein Alter noch eine Seltenheit. Und auch die Qualität stimmt: 2013 wurde ihr 12 Jahre alter "Neccarus" bei den Germany's Best Whisky Awards zum besten Whisky Deutschlands gekürt.

Joachim Alt im Gespräch mit MargareteMarie.      Foto: privat


Wenn es sein muss, reisen die beiden auch um die halbe Welt. Für ihren Rum, der in seiner Qualität ihrem Whisky kaum nachsteht, haben sie eine eigene Hefe züchten lassen und sind deshalb bis nach Südafrika geflogen. Viel Pioniergeist und Experimentierwille waren in der Anfangszeit vonnöten. Heute beziehen sie hochwertige  Melasse aus den verschiedensten Kontinenten und sind stolz darauf, dass sie bereits nach 2-3 Stunden gärt und im Schnitt nach 2-3 Tagen vergoren ist.

Am liebsten arbeiten die beiden aber mit einheimischen Produkten, und ihre Zutaten erhalten sie meist von Bio-Bauern aus der Region. Vor allem wenig bekannte Sorten reizen den Brennmeister: Wer kennt denn schon Schwarze Madonna, Rote Gerste oder Sommeremmer! Besonders hat es ihnen der Grünkern angetan. Seit sie im Sommer 2010 ihre Brennerei von Stuttgart nach Rosenberg-Sindolsheim verlegten, leben sie im Zentrum der deutschen Grünkernproduktion.

Bilder aus der Sturm......
Doch wer eine behäbig-schwäbische Brennerei erwartet, mit gediegenem Schankraum und Geranien auf der Fensterbank, wird enttäuscht werden. Liebenswürdiges Chaos herrscht derzeit noch auf dem Hof im sogenannten badischen "Bauland", den die beiden  seit ihrem Umzug schrittweise zur neuen Brennerei umbauen. Bis 2016 sollen die Umbauarbeiten abgeschlossen sein, und im Schankraum wird dann ein beeindruckender Wasserfall rieseln. Denn Wasser ist für eine Brennerei die wichtigste Resource. 

Joachim und Michael entsprechen nicht unbedingt dem konventionellen Bild, das man sich gemeinhin von einem schwäbischen Brennmeister macht. Man könnte die beiden durchaus mit zwei Aussteigern  aus Berlin-Moabit verwechseln. Dabei kommen sie aus Deutschlands Manager-Metropole Stuttgart und sind gestandene Geschäftsleute.

..... und Drangzeit der Brennerei

Wirklich marktkonform ist das sympathische Duo dennoch nicht.  Joachim Alt sagt gern provokante Sätze wie "wir sind eine Hurenbrennerei" oder "der deutsche Whisky-Verband ist ein Kasperle-Theater". Als wir über deutschen Whisky reden, nimmt der Gewinner des Deutschen Whisky-Preises dann auch kein Blatt vor den Mund. Doch hinter jedem Satz hört man die Leidenschaft, mit der er immer noch das tut, was er schon vor beinahe dreißig Jahren tun wollte: einen richtig guten Schnapps brennen.

Einen Auszug aus unserem Gespräch gibt es morgen im Blog.

Natürlich haben wir am Ende auch die Whiskys von Alt-Enderle probiert. Hier meine Verkostungsnotizen:

Grünkern-Whisky:

Foto: MargareteMarie

Drei Jahre im großen Bourbon-Fass gelagert, danach  4 Monate Finish im 50-l-Fass. 43% vol.

Aroma: angenehm frisch und fruchtig, viel Honig und Vanille, sehr harmonisch und rund.

Geschmack: kräftig und würzig, ganz leicht rauchig, sehr nussig

Nachklang: lang und nussig

Fazit: trotz seiner Jugend ein überraschend frischer und runder Whisky, der im Nachklang wunderbar nussig schmeckt. Idealer Begleiter für jeden Tag. Empfehlenswert nicht nur für Veganer.


Neccarus, 8 Jahre:

Erste Reifung im Bourbon-Fass, danach ein Finish im Sherry- und Portweinfass. 43% vol.

Aroma: frisches Obst, Apfel, Birne, Mandarine, tendenziell elegant und floral


Geschmack: überraschend kräftig, fast bissig, aber insgesamt sehr ausgewogen, leicht ölig

Nachklang: warm und lang

Fazit: gut ausgebauter, komplexer Allrounder,



Neccarus, 12 Jahre:

Erste Reifung im Bourbon-Fass, danach ein Finish im Sherry-Fass, 43% vol.

Aroma: deutliche Fruchtigkeit, vor allem Mandarine, mit floralen Noten, dezente Eiche 


Geschmack: überraschend kräftig, fast bissig,  leicht ölig und nussig

Nachklang: warm und lang

Fazit: ähnlich wie der 8 Jahre alte Neccarus, aber deutlich voller und komplexer im Aroma

Foto: MargareteMarie


Neccarus, 15 Jahre, Sherry-Fass gereift, 43% vol.:

Aroma: sehr komplex. Viel Sherry,  fruchtig, frische Mandarinen- und Aprikosen-Note, trotz allem aber sehr elegant und filigran.

Geschmack: im Vergleich zu den jüngeren Abfüllungen überraschend weich und mild, nussig

Nachklang: wunderbar lang

Fazit: Hat alles, was einen exzellenten Single Malt auszeichnet. Den kann man getrost neben einen schottischen Whisky ins Barfach stellen.


Foto: MargareteMarie


Neccarus, 15 Jahre, Portwein-Fass gereift, 43% vol.:

Aroma: traumhaft und sehr komplex. Zu den bereits bekannten Aromen kommen jetzt auch Schokolade, Toffee und Rosinen dazu.

Geschmack: mild, zart-würzig, leicht ölig, Tabak, Kaffee

Nachklang: warm und lang

Fazit: Mein persönlicher Favorit. Immer noch filigran und elegant, aber wunderbar komplex und harmonisch.

MargareteMarie meint:

Der Neccarus 15 zeigt eindringlich, was ein Deutscher Whisky alles kann, wenn man ihm nur die Zeit dazu gibt. Und ich hoffe sehr, dass in der Brennerei noch ein paar Fässer davon in irgendeiner Ecke liegen, für die in den nächsten drei Jahren niemand Zeit finden wird. Denn dann wäre der Whisky von Alt-Enderle endlich volljährig.





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